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Die Stadt Rowno teilt genau (d.h. auf polnisch
=>równo) die Bahnlinie zwischen
Lemberg (auf polnisch => Lwów) und Kiew in zwei Hälften. Von Norden nach Süden bekommt man auch
Verbindung zwischen Weißrussland und Rumänien. An Równe vorbei sollte auch eine
Europastraße gebaut werden, nämlich die Verlängerung der A4.
Sommer 1939
Obwohl das Leben in Równe von dem drohenden Krieg
und zusätzlich bei Krasuskis durch die Einberufung des Familienvaters zum
Militär überschattet wurde, liefen alle Vorbereitungen für meine Einschulung am
1. September auf hohen Turen. Das ist
aber dann nach gut 6 Jahren in einem fremden Land und in einer anderen Sprache
geschehen.
Die Nachricht vom Kriegsausbruch am 1. September hat
das reguläre Leben in der Stadt lahmgelegt, buchstäblich und total. Nichts
funktionierte mehr. Diese gespenstische
Ruhe wurde erst am
3. September
durchbrochen. An diesem Tag bekam Równe zum ersten Mal
unerwünschten Besuch aus der Luft. Ein nazideutsches Bombenflugzeug und gleich
dann noch weitere griffen Równe an, stießen aber auf heftige polnische
Luftabwehr. Ein Flugzeug wurde getroffen und machte in der Nähe von Równe eine
Bruchlandung. Das erregte großes Aufsehen. Alle, ich auch, liefen hin, um zu
gucken. Ich besitze noch heute ein Stückchen von dem abgeschossenen Flugzeug.
Etwa eine Woche lang wurde die Stadtmitte immer wieder bombardiert, wobei die
polnische Luftabwehr immer schwächer wurde. Danach griffen die Nazideutschen
mit Tieffliegern an. Während der Bombardierung hatte ich zwar Angst, aber war
ich auch neugierig, weil etwas Außergewöhnliches geschah. Die Tiefflieger waren
sicherlich sehr erfreut, als es ihnen gelang ein paar laufenden Passanten auf
der Straße zu beschießen, wobei jeder Luftangriff eine größere Panik auslöste.
Dieses Katze und Maus-Spiel war am 16. September plötzlich zu Ende. Danach
herrschte wieder eine ungewisse Ruhe. Aber die nächsten bösen Ereignisse ließen
nicht lange auf sich warten. Am Morgen des
17. September
sahen wir, wie Militärfahrzeuge der sowjetischen Armee,
von Pferden gezogen, in Równe einrückten. Die Pferdegespanne aus dem Osten
sollten unsere neuen, auch ungewollten Gäste und zugleich die „BEFREIER“ des
ukrainischen Volkes von der polnischen Gewaltherrschaft sein. Es war nicht zu
fassen, sie kamen in die Stadt, besetzen sie ohne Wiederstand der polnischen
Soldaten aber auch ohne Begeisterung der Bevölkerung. Die sowjetischen Soldaten
brachten auch ihre Währung mit, den Rubel, der den polnischen Zloty ablöste und
ungültig machte. Der Rubel hat ungeheuer große Kaufkraft mitgebracht:
Innerhalb von ein paar Stunden leerte er alle Regale in allen Geschäften. Vor
allem Lebensmittel gab es in Wirklichkeit kaum zu kaufen. Dabei habe ich das
erste Mal im Leben Hunger und zugleich
das erste schreckliche Fremdwort können gelernt: Nje palagaietzja (Phonetisch geschrieben). Es
bedeutete: Kein Anspruch auf Brot => Ab jetzt bist du nicht berechtigt (in
eigener Stadt) Lebensmittel
einzukaufen. Du kannst hungrig bleiben! Ganz logisch, denn mein Vater, zu diesem
Zeitpunkt ein Soldat in der polnischen
Armee, mein Onkel und Großvater, alle drei waren sofort als Klassenfeinde
eingestuft worden. Also warum sollte das gute Väterchen Stalin den Sohn eines Volksfeindes ernähren lassen
und zwar auf Kosten Roten Armee? Es gab auch sofort Plünderungen von
Rotarmisten, Besitzenteignungen und Verhaftungen, die völlig willkürlich
erschienen. Gott sei Dank, zur Zeit war mein Vater nicht zu fassen, meinem Onkel gelang es vorübergehend zu entkommen.
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