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Keine Räubereien und Verhaftungen mehr.
Vielleicht gab es ja nichts mehr zu stehlen, und alle zur Verhaftung
vorgesehen waren, sind schon längst verhaftet worden. Nur mein Vater noch nicht, aber
es war nur die Frage der Zeit. Sogar Tante Jadwiga darf mit den Kinder Misinówka (Sibirien) verlassen, zunächst jedoch noch nicht
direkt in ihre Heimatstadt zurück ankommen.
Etwa im April 1944 beginnen die nächtlichen
Luftangriffe der nazideutschen Luftwaffe, und sie dauerten Nacht für
Nacht bis in den Spätherbst 1944. Nachdem die ersten Angriffe die Innenstadt
in Brand gesetzt, in Schutt und Asche gelegt hatten, fielen die
späteren Bomben nur in die Trümmer hinein, was jedoch dem Angreifer völlig
egal gewesen zu sein schien. Strom- und Wasserversorgung fielen
aus. Ich hatte mir einen kleinen Lieferwagen gebastelt, mit dem ich
paar Mal täglich einen Eimer Wasser in die Stadt brachte und
dort pro
Glas preisgünstig verkaufte. Nicht selten wurde ich abends, als ich
nach Haus zurück ging, von Straßenkindern überfallen, die mir den Tagesumsatz abnahmen.
Sowohl über das Abkommen von Jalta vom 11.02.1945
als auch über dritten Kriegskonferenz der drei Siegermächtigen in Potsdam vom 17. Juli bis zum 2. August 1945 haben wir bis
Herbst nichts erfahren.
Im Herbst 1945 wurde uns mitgeteilt, dass
Wolhynien zur UdSSR gehörte, und wer damit nicht einverstanden
sei, könnte die Ausreise beantragen. Zur gleichen Zeit wurde wieder der
Rubel eingeführt, wobei wurde Zloty
wieder ungültig. Selbstverständlich kehrte auch die sowjetische Rechtsordnung zurück
und Onkel Wladek, Kämpfer gegen die Nazis mit Rotarmisten zusammen, wurde enteignet. Das Onkels Haus bekam einen
neuen Besitzer, einen hohen sowjetischen Funktionär. Wir wurden „freiwillig“ mit dem siebzehnten Transport auf
Viehwaggons in den Westen abtransportiert. Wohin, wusste niemand genau. Unterwegs wurde der Lokführer von meinen Großvater mit Wodka
bestochen, hat direkt hinter der neuen Grenze eine Panne arrangiert, wir sind aus dem Waggon aufs freie Feld
ausgestiegen, wo wir einige Nächte unter dem freien Himmel
verbrachten.
Vom 1. September 1939 bis zum November 1945 besuchte
ich weder eine Grundschule noch habe ich eine einzige Stunde Unterricht gehabt. Trotzdem habe ich viel sowohl von Nazideutschen als
auch von Leuten des Väterchen Stalin gelernt, viel Schlimmes erlebt, sehr wenig davon verstanden, jedoch fast alles
bis heute im Gedächtnis behalten.
Lech Krasuski, aus Równe, lebt jetzt in seiner zweiten Heimatstadt
Solingen.
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